Projekt SIDING:
Gleisanschlüsse mit KI-Bildauswertung identifizieren
Die Schiene als Verkehrsträger für Gütertransporte – politisch gewollt, für die Einhaltung der Treibhausgasziele im Verkehr unerlässlich, von der Logistik-Praxis nach wie vor zu häufig skeptisch betrachtet. Trotz des ausdrücklichen Wunsches nach mehr Schienennutzung und einem Gleisanschlussförderprogramm des Bundes sinkt die Zahl der Gleisanschlüsse in Deutschland von Jahr zu Jahr. Abseits der großen KV-Terminals wird es damit für Verlader immer schwieriger, das System Schiene überhaupt zu entern, gerade für Wagenladungsverkehre. Selbst die Information darüber, wo überhaupt private Gleisanschlüsse existieren; war bislang nicht flächendeckend verfügbar. Das soll sich nun durch ein Forschungsprojekt des Fraunhofer IIS ändern.
Ein Gleisanschluss ist per Definition eine Eisenbahnanlage zur Erschließung eines Geländes oder Gebäudes, das selbst nicht zur Eisenbahninfrastruktur gehört, durch Eisenbahngleise zum Gütertransport. Während die bundesweit rund 520 öffentlichen Verlademöglichkeiten in Form von KV-Terminals, Ladestellen, Umschlagsbahnhöfen und Railports über diverse Informationsportale etwa der DB oder der SGKV gut erfasst und allgemein bekannt sind[1], existieren einige Tausend private Gleisanschlüsse in Deutschland, die nicht zentral erfasst werden. Zwar kennen die jeweiligen Bundesländer aufgrund der Genehmigungspflicht alle Liegenschaften, die zur Verladung von Schienentransporten genutzt werden oder wurden, ein zentraler, geschweige denn aktueller Datensatz dazu existiert jedoch nicht.
Unternehmen, die sich für Verlade- oder Entwicklungsmöglichkeiten einer Schienenanbindung in ihrer Region interessieren, müssen deshalb einen relativ zeit- und kostenaufwändigen Weg über diverse offizielle Anfragen, die Nutzung von spezialisierten Gutachtern oder gar Vor-Ort-Befahrungen gehen. Diese Situation wurde in der Arbeitsgruppe des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zur Anbindung von Gewerbegebieten rege diskutiert, der Ruf nach einem Gleisanschluss-Kataster war deutlich zu vernehmen.
Die angewandten Forscher des Fraunhofer Instituts für integrierte Schaltungen haben sich im Forschungsprojekt SIDING dieses Themas angenommen. Im Juli 2023 konnten die Ergebnisse der durch eine Kombination von Geodaten und KI-gestützter Bilderkennungsverfahren identifizierten Verladestellen den Projektpartnern vorgestellt werden. Im Projekt wurde eine automatische Prozessierungskette (unter Anwendung von Methoden der Mustererkennung mittels neuronaler Netze) zur flächendeckenden Identifikation nicht registrierter Gleisanschlüsse mithilfe von Satellitenbildaufnahmen entwickelt.
Hierzu wurden zunächst Lern- und Testdaten erzeugt, mit deren Hilfe aktuell genutzte Gleisanschlüsse sowie ungenutzte oder rückgebaute Gleisanschlüsse unterschieden werden können. Im nächsten Schritt wurden automatisiert Prüfbilder alle existierenden Gleisanlagen in gewerblicher Bodennutzung in Deutschland generiert, die anschließend von dem Neuronalen Netz zur Bildauswertung auf das Vorhandensein von Verlademöglichkeiten hin geprüft wurden. Dabei haben neben einer Asphaltierung oder Laderampe direkt neben dem Gleis auch das Vorhandensein von Immobilien oder Ladehilfsmitteln auf der betrachteten Liegenschaft eine entscheidende Rolle gespielt. Die so ermittelten Orte mit Verlademöglichkeit wurden abschließend zu einem „Gleisanschluss“ pro Ansiedler zusammengefasst, da bestimmte Industrieanlagen wie z.B. Stahl- oder Chemiewerke zahlreiche dieser Verlademöglichkeiten auf sich vereinen.
Das Ergebnis des Projekts ist eine Liste mit rund 3.000 identifizierten Gleisanschlüssen sowie rund 2.000 ungenutzten bzw. teilrückgebauten Gleisanschlüssen inklusive feinräumiger Verortung, die allen Interessierten kostenfrei verfügbar gemacht wird.[2] Ebenso sollen die Ergebnisse bis zur Expo Real im Oktober auf der Research-Plattform »L.Immo online« des Fraunhofer IIS zugänglich gemacht werden, die regelmäßig die wichtigsten deutschen Logistikstandorte analysiert und diese als Geoinformationssystem interaktiv visualisiert.
Die Daten lassen sich nach ihrer räumlichen Lage und technischen Aspekten filtern und erlauben verschiedene Interpretationsmöglichkeiten: Neben der Suche nach vorhandenen Gleisanschlüssen in bestimmten Städten oder Landkreisen können die Ergebnisse z.B. auch nach der Länge der Anschlussgleise sortiert werden, um so Hinweise auf Verladekapazitäten oder mögliche Zuglängen zu erhalten. Ebenso kann nach vermutlich brachliegenden und (teil-)rückgebauten Gleisanschlüssen differenziert werden, sodass ggfs. Liegenschaften mit einem geringeren Reaktivierungsaufwand priorisiert werden können. Hier liegt auch einer der potentiellen Use-Cases für die gewerbliche Immobilienwirtschaft sowie auf Schienenanbindung spezialisierte Ingenieurbüros.
Im Kern richten sich die Projektergebnisse aber an die Nutzerseite: Mit den nun verfügbaren Daten erhalten verladende Unternehmen nicht nur einen flächendeckenden Überblick über die naheliegenden Gleisanschlüsse eines bestimmten Standorts, sondern auch einen Hinweis auf deren aktuelle Nutzer bzw. Betreiber. Zwar sind Beispiele für eine unternehmensübergreifende Nutzung privater Gleisanschlüsse abseits von Logistikdienstleistern noch relativ selten, angesichts der nicht zu unterschätzenden Planungs- und Realisierungszeiten für neue Schieneninfrastruktur ist die direkte Nachbarschaft dennoch einen Blick wert.
Nicht zuletzt auch die Kommunen können die nunmehr flächendeckend ermittelten Informationen zu Gleisanschlüssen nutzen, um bestehende Potentiale für die Verlagerung von Verkehren auf die Schiene zu bewerten oder um entsprechende Flächen für die Anbindung von Gewerbebetrieben zu sichern.
Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.