Lässt sich die 4-Tage-Woche in der Logistikbranche umsetzen?
Die Work-Life-Balance wird in der heutigen Arbeitswelt immer wichtiger. Die Boomer-Generation, bei der das altbewährte 9-to-5-Modell noch großgeschrieben wurde, geht langsam aber sicher in Rente und macht Platz für die Gen Z, bei der ein ausgeglichenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit ganz oben auf der Prioritätenliste steht. Dass nur Mütter in Teilzeit arbeiten ist längst Geschichte, viele junge Leute wollen sich nicht mehr 40 oder mehr Stunden in der Woche der Arbeit hingeben. Aus diesem Wandel der Prioritäten entstand in den letzten Jahren ein Modell, das immer populärer wurde: die 4-Tage-Woche. Vier Tage arbeiten, drei Tage frei und das bei vollem Gehalt.
Im Jahr 2022 startete in Großbritannien das erste, groß angelegte Pilotprojekt. 61 Firmen haben dieses neue Arbeitsmodell sechs Monate lang getestet. Die positiven Ergebnisse – höhere Produktivität, größere Mitarbeiterzufriedenheit und gestiegene Umsätze – führten dazu, dass sich auch in Deutschland immer mehr Unternehmen an das Modell von verkürzten Arbeitszeiten heranwagen. Erst Anfang Februar begann hierzulande ein Projekt, bei dem 45 Unternehmen und Organisationen für ein halbes Jahr lang die 4-Tage-Woche austesten und dabei wissenschaftlich begleitet werden.
Doch lässt sich dieses Modell überhaupt überall umsetzen? Wie sieht es beispielsweise in der Logistikbranche aus, die durch den zunehmenden Fachkräftemangel ohnehin schon unter Druck steht? Und wie stehen Paketdienste, die jetzt schon jede Verspätung auf den scheinbar nicht enden wollenden Personalmangel schieben, zu einem solchen Arbeitszeitmodell? Wäre bei den Logistikern also eine 4-Tage-Woche möglich und vor allem wirtschaftlich sinnvoll?
Logistiker Cargo Truck Direct: Der Vorreiter der Branche
Auch beim Düsseldorfer Unternehmen Cargo Truck Direct hat man sich Anfang 2023 diese Fragen gestellt und nach einem Testlauf von acht Wochen schließlich die Entscheidung gefällt: Die 4-Tage-Woche ist das Modell der Zukunft.
„Man kann die Leute in einem Industrieland wie Deutschland, das sich immer weiterentwickelt, nicht immer nur mit mehr Geld abfrühstücken. Die Leute brauchen etwas anderes und den Erfolg kann man ja in anderen Ländern schon beobachten“, erklärte Geschäftsführer Andreas Hohnke in einem Interview, das wir im April vergangenen Jahres geführt haben.
Der Logistiker war damit das erste Unternehmen in der Branche, das den Schritt in die 4-Tage-Woche gewagt hat. Und das Modell hatte bei Cargo Truck Direct auch gleich positive Auswirkungen: Die Mitarbeiter seien zufriedener gewesen, die Stimmung war besser und auch die Krankheitstage gingen deutlich zurück. Durch den zusätzlichen freien Tag steigen auch die Motivation und Effektivität der Mitarbeiter, wie Andreas Hohnke beobachten konnte.
Dennoch liegt das Thema für einen Großteil der Logistikunternehmen sicherlich noch in weiter Ferne.
„Aller Anfang ist schwer und vielen Veränderungen wird skeptisch entgegengesehen. Es musste wahrscheinlich erst einmal jemand kommen, der den ersten Schritt in Deutschland in der Branche wagt“, so die Einschätzung des Geschäftsführers.
Dass es keinen Erfolg ohne Rückschläge gibt, zeigt dieses Beispiel jedoch auch: Der Logistiker musste das Projekt der 4-Tage-Woche nach nur fünf Monaten vorerst wieder einstampfen. 2023 war für Cargo Truck Direct nach eigenen Angaben eines der schwierigsten Jahre seit langem, im Sommer musste man fünf Mitarbeiter und damit 25 Prozent der Angestellten entlassen. Eine Fortführung der 4-Tage-Woche war so für das Unternehmen nicht mehr realisierbar. Dennoch blickt Andreas Hohnke optimistisch in die Zukunft. Seit September gibt es wieder einen leichten Anstieg der Aufträge. Mit dem Thema der 4-Tage-Woche ist Cargo Truck Direct deswegen noch lange nicht durch:
„Wir werden, so es die wirtschaftliche und damit verbunden auch personelle Situation wieder hergibt, wieder in den 4-Tage-Modus wechseln“, betont der Geschäftsführer.
Mut und Bürokratie als größte Herausforderungen
Mit Cargo Truck Direct hat ein vergleichsweise kleines Unternehmen versucht, die 4-Tage-Woche bei sich zu etablieren. Wie sieht es aber mit den großen Playern der Branche aus? Können DPD, Hermes oder die DHL Group tatsächlich ein solches Arbeitsmodell realisieren?
„Auf jeden Fall“, so die Einschätzung von Sven Anker, Niederlassungsleiter im DPD-Depot im schleswig-holsteinischen Osterrönfeld. „Die 4-Tage-Woche kann mit etwas Planung und Organisation in vielen Bereichen eingeführt werden.“
An dem Standort hat die DPD bereits erste Schritte eingeleitet und verschiedene Maßnahmen ergriffen.
„Alle Bereiche, in denen heute von Montag bis Freitag gearbeitet wird, sollten auf die 4-Tage-Woche umstellen können. Dies betrifft z. B. die zentralen Fachbereiche wie Personal, Kundendienst etc. Etwas schwieriger wird es in den operativen Bereichen. Aber auch hier haben wir bereits Lösungen gefunden und im Bereich der Tourenbetreuung auf die 4-Tage-Woche umgestellt. In einem unserer Depots konnten wir sogar von einer 40-Stunden-Woche auf 38,5 Stunden pro Woche reduzieren“, erklärt der Leiter.
Grundsätzlich ist der Ansatz des Paketdienstes nicht, einen kompletten Arbeitstag zu streichen, sondern vielmehr die Stunden des fünften Arbeitstages auf die restlichen vier zu verteilen. Dieses Modell bietet nach Ansicht von Sven Anker auch ein gutes Argument in der immer wichtiger werdenden Diskussion um die Work-Life-Balance.
Hier sollten sich Unternehmen nicht den Veränderungen der Zeit verschließen. Allerdings liegt genau da der Knackpunkt: „Die größte Herausforderung ist einfach der Mut, das Thema anzugehen“, meint Sven Anker. Aber auch die Bürokratie in vielen Bereichen, besonders mit Blick auf die unterschiedlichen Tarifverträge in den Bundesländern, stellt nach Angaben von DPD sicherlich noch eine große Herausforderung auf dem Weg zu einer 4-Tage-Woche dar.
Arbeitsmodell ist keine Einbahnstraße
Auch wenn sich viele Möglichkeiten für Arbeitnehmer durch eine reduzierte Arbeitszeit in der Woche ergeben – besonders für Familien lässt sich der stressige Alltag in Zusammenhang mit Homeoffice so oft besser bewältigen – ist diese natürlich an gewisse Herausforderungen geknüpft.
„Die Vier-Tage-Woche bietet den Mitarbeitenden ein Höchstmaß an Flexibilität, fordert diese aber auch. Sie ist also keine Einbahnstraße“, so das Fazit von Sven Anker.
Besonders zu Spitzenzeiten, wie beispielsweise im Weihnachtsgeschäft, kämpfen die Paketdienste immer wieder mit Verspätungen und Personalnotstand. Wie lässt sich das mit einer 4-Tage-Woche vereinbaren? Für den DPD-Niederlassungsleiter gibt es für dieses Problem Lösungsansätze.
„Wenn wir in einer Woche immer wieder einzelne Spitzentage haben, dann kann man hier das Personal gezielt einsetzen und an diesen Tagen mit mehr Personal den erhöhten Arbeitsanfall bewältigen. Dies gilt z. B. auch für nicht tägliche, aber wiederkehrende Aufgaben oder Projekte“, erklärt er.
Für das von Sven Anker betreute Depot hat sich trotz der 4-Tage-Woche in bestimmten Bereichen nichts am Personalbedarf geändert. Ganz im Gegenteil, es konnten sogar Stunden reduziert werden, weil Prozesse entsprechend angepasst und optimiert wurden.
Zusätzliche Benefits für Mitarbeiter schaffen
Auch beim Konkurrent Hermes setzt man sich natürlich mit den Entwicklungen und Veränderungen des Arbeitslebens auseinander. Der Paketdienst beschäftigt sich nach eigenen Angaben mit den modernen Arbeitsmodellen und hat die entsprechenden Entwicklungen stets im Blick. So hat das Unternehmen für die Angestellten, bei denen es das Jobprofil zulässt – beispielsweise die kaufmännischen Mitarbeitenden in der Hamburger Unternehmenszentrale – bereits seit Anfang 2022 ein flexibles Arbeitsmodell besonders mit Blick auf den Arbeitsort geschaffen. Beim Thema 4-Tage-Woche ist der Paketdienst allerdings noch zurückhaltend.
„Was die 4-Tage-Woche angeht, so haben wir noch kein Pilotprojekt oder dergleichen in Planung“, heißt es von einer Hermes-Sprecherin auf Nachfrage. „Im Vergleich zu anderen Unternehmen stehen in der (Paket-)Logistik die Räder nie still: Als bundesweit tätiger und dezentral aufgestellter Paketdienstleister gehören wir zu einer der (systemrelevanten) Branchen, für die eine Umstellung von der 5- auf die 4-Tage-Woche eine besondere Herausforderung darstellen würde. Speziell mit Blick auf das operative Tagesgeschäft an unseren Logistikstandorten ist dieses Arbeitszeitmodell alles andere als leicht umzusetzen.“
Deshalb setzt der Logistiker derzeit noch auf andere Benefits, um den Mitarbeitern ein angenehmes Arbeitsumfeld zu bieten und als Arbeitgeber auch für potenzielle Bewerber attraktiv zu sein. Dazu gehören unter anderem Angebote in den Bereichen Mobilität, Weiterbildung sowie Sport- und Freizeit, aber auch finanzielle Anreize wie die Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld, vermögenswirksame Leistungen oder Zuschüsse zur Kinderbetreuung sowie Kapitalbeteiligungen.
Abschließend lässt sich sagen, dass der Trend hin zur 4-Tage-Woche bzw. zur generellen Reduzierung der Arbeitszeit auch nicht an der Logistikbranche vorbeigeht. Es ist aber in vielen Bereichen deutlich schwieriger, diese umzusetzen. Eine ausgeglichene Balance von Arbeit und Freizeit zu schaffen, wird allerdings für Arbeitnehmer immer wichtiger. Deswegen sind Firmen gut beraten, wenn sie Mitarbeiter durch ein angenehmes Arbeitsumfeld und flexible Modelle an sich binden, besonders in der vom Fachkräftemangel so stark betroffenen Logistikbranche. Es muss natürlich nicht zwingend eine 4-Tage-Woche sein, diese kann aber einen Ansatz darstellen, um sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ein passendes Modell zu finden.
Geschrieben von Corinna Flemming
Dieser Artikel wurde zuerst auf dem Portal Onlinehändler-news.de veröffentlicht.