Initiative Praxispfad CO₂-Reduktion im Gebäudesektor
Wissenschaftler fordern Kurswechsel in der Klimapolitik des Gebäudesektors
- Neue Initiative vorgestellt
- Fokus auf Reduktion der Treibhausgase setzen, weg von der Einseitigkeit der Energieeffizienz
- Wissenschaftler fordern zum Mitmachen auf
Renommierte Wissenschaftler aus den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen haben am Donnerstag in Berlin ihr Manifest für eine nachhaltige, kosteneffiziente und sozial verträgliche Klimapolitik im Gebäudesektor vorgestellt. Darin kritisieren sie die seit vielen Jahren einseitige Fokussierung auf immer höhere Energieeffizienzstandards und fordern einen politischen Richtungswechsel.
„Die historisch gewachsene, alleinige Fokussierung auf Energieeinsparung im Gebäudesektor ist gescheitert! Nur ein Paradigmenwechsel im Klimaschutz bei Gebäuden auf einen Praxispfad, der die Reduzierung von Treibhausgasemissionen ins Zentrum unseres Handelns rückt, ist finanzierbar, stellt die Erreichung der Klimaschutzziele sicher und gewährleistet bezahlbares Wohnen“, so die Autorinnen und Autoren.
Das Manifest ist Gründungsdokument der „Initiative Praxispfad CO₂-Reduktion im Gebäudesektor“. Ziel der Initiative ist es, einen breiten Diskurs in der Öffentlichkeit zu organisieren. Die Initiatoren fordern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft und Politik dazu auf, der Initiative beizutreten.
Die „Initiative Praxispfad CO₂-Reduktion im Gebäudesektor“ definiert fünf Kernpunkte für klimapolitisches Handeln. Demnach soll die Wärmeversorgung möglichst schnell auf emissionsfreie Energieträger umgestellt und von kostspieligen Sanierungstiefen der Gebäudehülle (Heizwärmebedarf unter 75 kWh/(m2a)) Abstand genommen werden. Etwa Zweidrittel aller Mehrfamilienhäuser sind bereits teilsaniert oder wurden nach Einführung der Energieeinspar-Verordnung (EnEV 2002) gebaut. Diese Gebäude sind i.d.R. niedertemperaturfähig und damit für den Einsatz von Wärmepumpen geeignet. Die oft zu hörende Meinung, dass vor dem Einbau einer Wärmepumpe die Heizkörper ausgetauscht werden müssen oder eine Fußbodenheizung eingebaut werden muss, ist eine Fehleinschätzung wie umgesetzte Beispiele zeigen. Darüber hinaus soll die politische Regulierung stark vereinfacht und auf einen CO₂-Emissionsreduktionspfad abgestellt sowie der Erhalt von Bestandsgebäuden gefördert werden.
Warum die derzeitige Strategie im Gebäudesektor gescheitert ist
Im Manifest fassen die Wissenschaftler ihre in jahrelanger Forschung erlangten Erkenntnisse zusammen. Sie unterstreichen, dass ein stärkerer Fokus auf CO₂-Reduktion – und nicht allein auf Energieeinsparung – das Ziel der Klimaneutralität bei gleichzeitig bezahlbarem Wohnen erreichbar machen kann. „Mit unserem Praxispfad CO₂-Reduktion senken wir die im Vergleich zum heutigen Szenario benötigten Fördermittel um fast zwei Drittel, von jährlich 50 auf 18 Milliarden Euro. Damit zeichnen wir ein realistisches Szenario für die Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor, weil mit unserem Weg die knappen Ressourcen im Finanzbereich, aber auch im Bausektor sinnvoller eingesetzt werden“, sagt Prof. Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch, einer der fünf Gründer der Initiative. „Zudem berücksichtigen wir mit unserem Ansatz auch die Treibhausgasemissionen, die durch den Bau der Bestandsgebäude bereits entstanden sind bzw. jene, die durch Neubau noch entstehen würden“, sagt Prof. Dirk Hebel, Gründer der Initiative. Und Initiativengründer Prof. Dr. Werner Sobek ergänzt: „Wir müssen den CO₂-Emissionen einen angemessenen Preis geben. So können wir den Weg zur Erreichung des Klimaziels realistischer planen und sozial gerechter gestalten.“
Die aktuellen Ansätze, die sich auf maximale Energieeffizienz und umfassende Sanierungsmaßnahmen stützten, seien weder finanzierbar noch klimawirksam genug, folgert das Manifest der Wissenschaftler.
„Was wir benötigen, ist kein blindes Streben nach höchster Energieeffizienz, sondern eine praxisorientierte Politik, die auf die Senkung der Treibhausgasemissionen abzielt“, sagt Prof. Elisabeth Endres, Gründerin der Initiative.
„Wir fordern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft auf, den Diskurs mit uns zu führen und sich dieser Initiative anzuschließen”, ergänzt Prof. Dipl.-Ing. Dietmar Walberg, der ebenso Gründer der Initiative und Erstunterzeichner des Manifestes ist.
Haushaltskrise als Katalysator für dringend notwendige Reformen
Vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltsdebatten und der gescheiterten Ampel-Koalition wird eine Kurskorrektur umso dringlicher. Die bisherigen Förderansätze übersteigen die finanzielle Belastungsgrenze des Bundeshaushalts bei weitem, so die Wissenschaftler.
Die Wissenschaftler rufen insbesondere die Entscheidungsträger in der Politik dazu auf, die Klimapolitik für den Gebäudebereich von Grund auf zu überdenken und sie auf realistische, erreichbare CO2-Reduktionsziele auszurichten – und nicht den Weg durch einen Dschungel von Gesetzen und Verordnungen dahin vorzuschreiben. In Anbetracht der gescheiterten Regierung und der drängenden Haushaltsprobleme seien die klimapolitischen Maßnahmen in den kommenden Monaten von entscheidender Bedeutung.
Die fünf Kernforderungen der Wissenschaftler: Paradigmenwechsel für mehr Klimaschutz
- Emissionsfreie Wärmeversorgung: Fossile Energieträger müssen zügig durch emissionsarme Technologien wie Wärmepumpen und die Nutzung industrieller Abwärme ersetzt werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien auf Quartiersebene wird hierbei priorisiert wie bilanzielle Ansätze auf der Ebene von Gebäudeflotten und Quartieren im Allgemeinen und hier insbesondere die gebäudeübergreifende bilanzierbare Nutzung von Solarenergie.
- Maßvolle Sanierung: Statt kostspieliger überzogener Sanierungstiefen fordern die Experten eine Sanierung, die sich an der Lebensdauer der Bauteile orientiert und unnötige Kosten vermeidet.
- Effiziente Wärmepumpen-Nutzung: Moderne Wärmepumpen sind bereits für teilsanierte (ab EnEV 2002) oder moderat sanierte Gebäude geeignet, was den Sanierungsdruck mindert und trotzdem eine klimaschonende Wärmeversorgung ermöglicht.
- Einführung eines Emissionsminderungspfads: Statt unübersichtlicher Regelungen plädieren die Wissenschaftler für einen verbindlichen Emissionsminderungspfad bis 2045, der klare Reduktionsziele für Gebäudeemissionen setzt und durch eine unabhängige Emissionsagentur überwacht wird.
- Förderung von Bestandserhalt und Kreislaufwirtschaft: Neubauten sollen strengen Emissionsgrenzen entsprechen, während der Erhalt bestehender Gebäude die Nutzung grauer Energie maximiert und Abfall reduziert.
Quelle: Edelman GmbH