CoreNet Global (CNG): Wie teuer ist Deutschland wirklich?
Eine immobilienwirtschaftliche Perspektive auf Standortkosten und Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands Wirtschaft – und mit ihr die Immobilienbranche – steht unter Druck: Steigende Bau- und Betriebskosten, langsame Genehmigungsverfahren und schwindende internationale Wettbewerbsfähigkeit insgesamt belasten Unternehmen und Investoren. Der Mastertalk #36 von CoreNet Global (CNG) stellte daher die zentrale Frage: „Wie teuer ist Deutschland wirklich?“
Gastgeber Thomas Glatte, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Fresenius und als CNG-Vorstandsmitglied für Aus- und Weiterbildung zuständig, eröffnete die Veranstaltung mit dem Hinweis, dass es nicht um eine politische Diskussion, sondern um eine sachliche Analyse gehen solle. „In den letzten Monaten wurde das Thema immer wieder medial aufgegriffen. Wir wollen es heute aus einer faktenbasierten, immobilienwirtschaftlichen Perspektive beleuchten.“ Steffen Skopp, Director Deloitte Consulting, und Andreas Kühne, Geschäftsführer der Bauakademie Unternehmensgruppe legten mit ihren Impulsvorträgen die globale und lokale Basis für die anschließende Diskussion. Carola Wehrenberg, Prokuristin bei Covestro Real Estate, berichtete aus der Praxis eines internationalen Konzerns.
Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit sinkt
Steffen Skopp von Deloitte zeigte auf, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands laut IMD World Competitiveness Ranking in den letzten Jahren kontinuierlich abgebaut hat: „Deutschland fiel im IMD-Ranking von Platz 15 (2022) auf Platz 24 (2024) zurück. Das ist ein klares Signal, dass Unternehmen Deutschland als Investitionsstandort zunehmend meiden.“ Laut Deloitte CFO Survey 2024 seien Kostensenkungen die oberste Priorität für Unternehmen, während neue Investitionen in Deutschland kaum noch geplant seien. „In den kommenden fünf Jahren werden viele Unternehmen eher in Nordamerika, andere europäische Länder oder Asien investieren“, so Skopp.
Ein bedeutsamer Negativfaktor – neben den zu hohen Kosten und Steuern – sei die Bürokratie. „In anderen Ländern gehen Genehmigungen zügig, in Deutschland dauern sie Jahre. Besonders das produzierende Gewerbe zieht es ins Ausland, weil die Rahmenbedingungen hier nicht mehr attraktiv sind.“ Prof. Glatte bestätigte später diesen Trend und warnte vor den langfristigen Folgen: „Das größte Problem ist, dass sich immer mehr Firmen gegen Deutschland entscheiden. Einmal abgewanderte Produktionen kehren selten zurück.“ Einen der wenigen Lichtblicke sah Skopp in der IT-Branche, die allerdings nur aus Gründen der Datensicherheit, Regulierung und Nähe zu den Kunden so stark in Deutschland investiere.
Betriebskosten belasten den Immobilienmarkt
Andreas Kühne von der Bauakademie Unternehmensgruppe legte dar, wie die Betriebskosten im Immobiliensektor (OPEX) in den vergangenen Jahren gestiegen seien. Seit 2006 stiegen die Betriebskosten für Büroimmobilien um 18 Prozent, für Life-Science-Immobilien sogar um 56 Prozent. Letzteres liege vor allem daran, dass Aufwendungen für Energie den Löwenanteil ausmachen. Besonders in Spitzenlagen machten die Nebenkosten bereits bis zu 25 Prozent der gesamten Mietkosten aus. „Die Betriebskosten steigen schneller als die Kaltmieten. Für Investoren bedeutet das: Geringere Renditen und eine steigende Cashflow-Belastung“, mahnte Kühne. Besonders problematisch sei hier, dass Vermieter in Vorleistung gehen müssten. Kühne wies darauf hin, dass die Kosten nicht gleichmäßig steigen, sondern oft zyklisch verlaufen.
Langsame Genehmigungen – ein Standortkiller
Carola Wehrenberg von Covestro, einem global aktiven Chemiekonzern, betonte im Hinblick auf die Rahmenbedingungen, dass die größten Herausforderungen für Investitionen in Deutschland in den langen Genehmigungszeiten und hohen Kosten lägen. „So dauert ein neuer Bebauungsplan in Deutschland nicht selten zehn Jahre oder länger.“ Das sei ein gravierender Wettbewerbsnachteil, da Unternehmen nicht so lange warten könnten. Hohe Energiekosten und strenge Regulierungen verschärfen das Problem. Hinzu komme eine deutlich geringere Wachstumsdynamik als in anderen Regionen.
Diskussion: Mangelwirtschaft und überbordende Regulierung
In der Diskussion brachte Co-Moderator Peter Prischl das fatale Phänomen des Goldplating ins Spiel – die deutsche, aber auch österreichische Neigung, auf bestehende Vorschriften weitere Zusatzanforderungen zu packen. „Warum müssen wir jede Regulierung noch einmal verschärfen, bis kaum noch jemand investieren will? In anderen Ländern geht das viel pragmatischer.“
Skopp meinte, dass es nicht nur um Bürokratie gehe, sondern um die generelle Standortstrategie. „Die zentrale Frage: Welche Industrien sollen in Deutschland bleiben? Ohne gezielte Standortförderung wird der Abwärtstrend weitergehen.“
Zum Thema Kostenmanagement erinnerte Kühne daran, dass in Deutschland oft an den falschen Stellen gespart werde. „Viele Unternehmen halten zu große Immobilienbestände, die kaum noch genutzt werden. Stattdessen sollten sie Flächen effizienter einzusetzen und durchaus auch mieten/ vermieten.“
Zukunftsperspektiven – was muss sich ändern?
Schließlich stellte Glatte seine legendäre Abschlussfrage: „Wo stehen wir in fünf Jahren?“ Kühne prognostizierte, dass künftig vor allem die Betriebskosten steigen werden – besonders wegen höherer Löhne. Unternehmen müssten zudem Flächeneffizienz neu denken und Betriebsstrukturen anpassen. Der Erfolg stehe und falle mit den Managementleistungen, er stelle sich auf eine Schrumpfung der Industrie ein. Wehrenberg forderte niedrigere Baupreise insgesamt, auch bei Wohnungen, und schnellere Genehmigungen, da Unternehmen in erster Linie Planungssicherheit benötigten. Skopp machte deutlich, dass Deutschland „Mut, Geld und Frieden“ brauche.
Glatte schloss mit der Forderung und zitierte dabei die Trumpf-Vorstandsvorsitzende Nicola Leibinger-Kammüller: „Weniger Regulierung, gezielte Investitionen in Infrastruktur und Bildung. Die Wirtschaft muss arbeiten dürfen, ohne ständig durch neue Hürden behindert zu werden.“
Quelle: CoreNet Global